Der Wunsch nach Gemeinschaft, guter Nachbarschaft, Entlastung und Unterstützung im Alltag ist groß – in allen Generationen. Es hilft, sich hier über die eigenen Vorstellungen Klarheit zu verschaffen:
Was wünsche ich mir eigentlich? Was erwarte ich von den anderen? Was geht gar nicht für mich, was bringt mich an meine Grenzen?
Doch zeigt die Erfahrung in neuen Wohnformen, dass Fragen wie diese ebenso wichtig sind:
Was bringe ich mit? Was bin ich bereit zu geben? Wie gehe ich mit “sozialer Kontrolle”, mit ernüchternden Erfahrungen oder Enttäuschungen, mit Spannungen und Konflikten um? Wieviel Verbindlichkeit brauche und biete ich? Wie ist für mich das rechte Maß aus Nähe und Distanz? Wie weit kann und möchte ich mich auf andere einlassen? Was von meinem Besitz bin ich bereit aufzugeben (um in eine möglicherweise kleinere Wohnung zu ziehen) oder zu teilen? –
Alle diese Fragen, und persönliche, möglichst ehrliche Antworten darauf, können uns Hinweise geben, inwiefern gemeinschaftliches Wohnen überhaupt zu uns passt.
Begeisterung ist gut. Der Wunsch, nicht mehr alleine zu leben, ist sehr verständlich. Und die Verantwortung für uns selbst und andere legt es nahe, sich gründlich zu prüfen.
Wir brauchen hier das Rad nicht neu zu erfinden; aus der Erfahrung gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens sind viele hilfreiche Werkzeuge entstanden, die uns zur Selbstklärung dienen. Einige Beispiele:
BEISPIEL 1: Einen nützlichen Fragebogen zur Selbsteinschätzung hält das Netzwerk Gemeinschaftliches Wohnen Frankfurt vor, aufgebaut entlang der Fragenkomplexe Warum interessiere ich mich eigentlich für gemeinschaftliches Wohnen? – Wie ist meine aktuelle Wohn-/Lebenssituation? – Wie stelle ich mir meine künftige Wohn-/Lebenssituation in einem gemeinschaftlichen Projekt vor?
BEISPIEL 2: Die Matching-Plattform bring-together bietet Fragen wie diese an – bitte eigene hinzufügen:
Wie soll mein Wohnumfeld aussehen?
Möchte ich Ruhe oder Trubel?
Möchte ich Natur?
Möchte ich kurze Wege zur Arbeit und Nahversorgung?
Wie lange bin ich täglich unterwegs? Nutze ich Auto oder ÖPNV?
Wie ist der ÖPNV erreichbar?
Wie weit soll eine Stadt / ein Erholungs-/Freizeitgebiet entfernt sein?
Was kann ich mir leisten?
Was gibt es zu beachten, z.B. gesundheitlich oder Haustiere?
Wo und wie sollen meine Kinder aufwachsen?
Wo leben meine Freunde/Familienmitglieder? Wie oft sehe ich sie?
Wo fühle ich mich landschaftlich wohl, z.B. Gebirge, Meer, Wald?
BEISPIEL 3: …und eine humorvolle und weise Art, mit Eignungstests umzugehen, zeigt die Frauenwohnstiftung Sappho in ihrem Dokument zum zehnjährigen Jubiläum, s. Seiten 4-7. Hier zur Anschauung eine der drei gestellten Test-Fragen und das, was dabei herauskommen kann:
Welche Motive würden dich bewegen, in ein Wohnprojekt zu ziehen?
A. Ich möchte nicht alleine leben. Ich möchte mich in einer Gemeinschaft aufgehoben fühlen,
viel gemeinsam unternehmen wie gemeinsam kochen und essen, ins Kino gehen, etc.
B. Ich ziehe in ein Wohnprojekt, weil ich andere um mich herum haben möchte. Ich brauche
aber meine eigene Wohnung für meine eigene Zelt und meine eigene Ordnung. Wenn ich
Lust habe, kann ich dann mit den Mitbewohnerinnen was unternehmen.
C. Ich finde, dass Wohnprojekte ein guter Kompromiss sind zwischen Alleine-Leben und
Zusammen-Leben.
Bitte ankreuzen!
…und die Auswertung der Antworten:
Antwort A: Bedürfnis in einer Gemeinschaft leben und sich aufgehoben fühlen
Bewertung:
Uns erscheint deine Erwartungen an eine Gemeinschaft sehr hoch. Wir setzen dagegen:
Nur welche allein sein kann, ist auch für eine Wohngemeinschaft geeignet.
Antwort B: eigene Wohnung und Ordnung, bei Bedarf mit anderen etwas machen
Bewertung:
Dein Schwerpunkt ist Unabhängigkeit, wir finden zu viel Distanz ist für ein Wohnprojekt nicht förderlich.
Antwort C: Guter Kompromiss zwischen eigener Wohnung und Gemeinschaft.
Bewertung:
Du machst einen faulen Kompromiss und hast Dich noch nicht entschieden, wie du leben möchtest.
Du kannst also einen solchen Test gar nicht bestehen – es gibt keine “richtige” Antwort. Das einsichtige Fazit der Projektfrauen: Hätten sich die Menschen der ersten Stunde nicht spontan zusammengetan – ohne einen Test zu machen, ohne sich näher zu kennen -, dann gäbe es heute das Projekt nicht.
Also: Lerne dich kennen + mache dir deine Wünsche und Erwartungen, Ressourcen und Grenzen, deine Lernbereitschaft und Frustrationstoleranz bewusst + und dann entscheide dich:
NEIN, das ist (noch) nichts für mich. Oder:
JA zum Abenteuer.